ZEN-Meister Thay Thien Son erklärt in seinem Teaching den Weg des Buddhas zur Erleuchtung in 7 Stufen. Er fordert uns auf, über unsere Lebenszeit nachzudenken und wie wir sie sinnvoll für uns einsetzen. Mögen wir mit diesem Impuls in Dankbarkeit wahrnehmen, was uns das Leben zu bieten hat.

Stufe 1 – Lass Dich auf die Gemeinschaft ein

„Gemeinschaft“ bedeutet: dass du dich mit allen Facetten als Teil der Gemeinschaft siehst und harmonisch darin lebst.
Die erste Priorität, die Buddha für Mönche und Nonnen wie für alle Menschen aufzeigt, ist: „Das Zusammenleben.“
Wenn wir uns mit dem Weg der Spirituellen Entwicklung befassen, meinen wir, es geht darum, dass wir irgendwann erleuchtet werden. Aber wenn wir es nicht einmal schaffen, miteinander ohne Streit gemeinsam zu leben auf dieser Erde, wie wollen wir dann auf dem spirituellen Weg weiterkommen?

Wenn wir Menschen nicht das Zusammenleben als Grundlage für jegliche Entwicklung sehen, dann haben wir unser Fundament verloren. Wir müssen lernen, jedem Menschen zu begegnen, offenherzig zu sein, ihn anzunehmen, wie er ist, und dankbar sein, dass er in unserem Leben ist.

Wenn diese Grundlage der Gemeinschaft als höchste Priorität im Leben geschaffen ist, dann wird die Menschheit davon profitieren. Die menschliche Entwicklung muss in der Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit, Rücksicht und Verantwortung aufgebaut sein. Eindringlich betont Thay Thien Son: Nur DANN ist es möglich, dass ein Mensch sich wahrhaftig begegnet.

Stufe 2 – Begegne Dir selbst

„Mir selbst wahrhaftig in meinem inneren Raum in der Stille zu begegnen“, dies ist der 2. Schritt, den uns der Buddha auf dem Weg zur Erleuchtung lehrt.
Wenn du es geschafft hast, dich in der Gemeinschaft einzubringen, wo immer diese für dich relevant ist – sei es deine Familie, deine Sangha, im Verein oder sonstiges – und mit jedem ihrer Mitglieder umgehen kannst, dann wirst du verstehen, dass es in dir genauso ist mit allen Aspekten, denen dort begegnest. Die Aspekte in dir sind der Spiegel der Menschen, denen du begegnest.
Für deine Entwicklung ist es ganz wichtig, dass du dir wahrhaftig begegnest.

Stufe 3 – Betrachte Deine Schattenseiten

Meinen Schatten begegnen, denn daraus entsteht die Kraft, für mich grade zustehen.
Nimm dir Zeit in deiner Stille, in deiner Ruhe, in deinem eigenen Raum! Diese Zeit ist nur für dich da. Du bist nicht abgelenkt, du bist nur auf dich fokussiert und du nimmst direkt Verbindung mit dir auf, um zu sehen, was ist überhaupt in mir?

Du musst so ehrlich sein, auch den Schattenseiten in dir zu begegnen – den Mut aufbringen, diese Schattenseiten anzuschauen, da reinzugehen und zu entdecken: was ist da überhaupt? Dafür nehmen wir Menschen uns wenig Zeit. Wir rennen lieber ins Licht, dorthin, wo wir gesehen werden. Wir wollen unsere Schattenseiten gar nicht sehen.

Für die spirituelle Entwicklung ist es aber ganz wichtig, dass du in deine Dunkelheit gehst. Denn dort entdeckst du deine Kraft. Weil du dich als Ganzheit siehst. Weil du dich in deiner Vollkommenheit annehmen kannst, egal wie du dann bist. Nur wenn du dir diese Zeit nimmst hast, schaffst du es, im Leben für dich grade zustehen, unabhängig von dem, womit Gesellschaft und Medien versuchen, dich zu manipulieren.

Stufe 4 – Einsamkeit oder Alleinsein

Meiner Einsamkeit, meinem Alleinsein begegnen, mich selbst erkennen und mich mit mir verbinden lernen.
Wer den spirituellen Weg geht, muss wissen, dass er diesen seinen Weg allein gehen muss. Wer nach innen auf seine Spirituelle Reise geht, der muss in der Lage sein, seiner Einsamkeit zu begegnen, denn durch die Einsamkeit verstehen wir uns viel mehr. Da begegnest du dir selbst. Dann bist du mit dir in der Konfrontation. Du siehst ganz klar, wer du wirklich bist.

Wenn du dich auf dich selbst einlassen kannst, dich mit dir verbinden kannst und dich wirklich annehmen kannst, dann öffnet sich eine neue Dimension. Diese Dimension nennt der Buddha „die Dimension der Liebenden Güte.“ Und nur wenn du dich für die Liebende Güte öffnest, bist du bereit, das Leben zu umarmen. Dann gelingt es dir, deine Vorstellungen, Erwartungen und Zielsetzungen, deine Träume und Wünsche loszulassen und wahrhaftig zu leben.

Wenn du die Welt mit der liebenden Güte betrachtest, erkennst du, dass sich alles gegenseitig bedingt und miteinander verbunden ist, und dann ist dein Herz gefüllt mit Dankbarkeit, dass du ein Dach über dem Kopf hast, dass die Sonne scheint, dass es regnet, dass du für jegliche Begegnung im Leben dankbar bist – und dass in dir die Freude aufsteigt: JA, es ist richtig, was mir im Leben begegnet.

Auch wenn das manchmal schmerzhafte Momente sind, die du nur verstehst, wenn du bereit bist, sie anzuschauen, ihnen zu begegnen, sie zu umarmen. Durchschaust du aber den Schmerz, der daher rührt, dass wir an unseren eigenen Erwartungen und Vorstellungen festhalten – und wenn du darüber hinaus gehst – dann dringst du in eine andere Dimension ein.
Der Buddha nennt es die Dharma-Dimension. Thay Thien Son übersetzt es mit „Kosmische Energie.“

Stufe 5 – Fülle erfahren

„Die Kosmische Energie“ hört sich esotherisch an. Was ist das überhaupt? Es ist die kostbare Fülle, die wir nicht spüren, nicht wahrnehmen, tatsächlich aber zu jeder Zeit erleben.
Allein, dass du einatmest – dass du überhaupt leben kannst. Wir leben in einer so großen Fülle – du wirst getragen durch dein ganzes Leben – durch alle möglichen Wiedergeburten wurdest du getragen – aber wir spüren diese Fülle nicht, weil wir ständig in der Trennung sind. Trennung, weil du DA bist – und ich HIER bin.

Wir haben noch nicht verstanden, dass jeder und jedes eine Bereicherung für den anderen ist, was Thay Thien Son anhand einiger Beispiele erläutert: Nicht nur ich und du – sondern der Baum da draußen genauso – oder der Hund – oder das Baby. Alles ist eine Bereicherung für das Leben.

Stufe 6 – tief schauen

In der inneren Fülle, in dieses Leben „tief schauen“.
Wenn du dein Herz auf diese Art und Weise öffnest und durch diese Bereicherung stimulieren lässt, dann beginnt ein tiefes Schauen in dieses Leben. Bei diesem Tiefen Schauen in das Leben verstehen wir, dass alles miteinander vernetzt ist, dass alles so liebevoll zusammengehalten ist. Dass alles miteinander schwingt. Dass nichts voneinander getrennt ist. Dass alles in einer kompakten Einheit ist. Wenn du in diese Matrix eintauchen kannst, verstehst du: eigentlich sind wir niemals voneinander getrennt.

Stufe 7 – Leben ist Verbindung

Zu sehen: ich bin mit allen und allem verbunden – es gibt keine Trennung
An diesem Punkt kannst du spüren, dass egal, was sich auf dieser Welt bewegt, egal welche Phänomene sich zeigen, im Herzen oder im Kern ist es das Leben, das pulsiert. Und das Leben ist die Verbundenheit.

Wenn du dich so anschaust und mit dir verbunden bist, öffnet sich das ganze Universum für dich. Du begegnest dir. Dann kannst du dich zeigen. Dann gehst du in die Welt – gehst Verbindungen ein – baust für dich ein Leben auf – lernst dich kennen, wer du wirklich bist – und dann bist du ein Mitglied dieser großen Gemeinschaft, in der wir alle gemeinsam leben.

Dieser Text basiert auf einem Teaching von Thay Thien Son, zusammengestellt von Ingmut Dossow und Marianne Kahm