Mitgefühl mit unseren Mitmenschen zu entwickeln ist in unserem Leben die Hauptaufgabe.

Ein alter Zen-Meister lag im Sterben. Er war schwer erkrankt und wusste, dass er bald gehen muss. Er bestellte alle Schüler zu sich und sagte zu ihnen: „Wer von euch hat meine Unterweisungen am tiefsten verstanden? Den werde ich in meine höchste Lehre einweihen und ihn zu dem nächsten Meister machen.“ Alle Schüler dachten darüber nach, wie sie beweisen können, dass sie verstanden haben, was der Lehrer ihnen gesagt oder gezeigt hat. Und jeder versuchte auf seine Art und Weise, das darzustellen, was der Meister vermittelt hatte.

Ein Schüler aber machte gar nichts und der Meister ließ ihn holen und sagte zu ihm: „Du hast nichts vorzuweisen. Was hast du denn überhaupt verstanden von dem, was ich in all den Jahren gelehrt habe?“ Der Schüler aber brachte nur eine Schale mit Medizin, stellte sie zu ihm und sagte: „Meister, bitte trink deine Medizin.“ Und der Meister: „Wie, du hast nur das verstanden? Mehr nicht?“ Der Schüler nickte: „Ja, das ist das, was ich verstanden habe.“ Der Meister wollte aber das Medikament zu dem Zeitpunkt nicht nehmen und so nahm der Schüler die Schale mit der Medizin wieder, verbeugte sich und wollte aus dem Zimmer gehen.

Es gibt nichts zu beweisen

Der Meister aber rief ihn zurück und sagte „Du hast von allen Schülern meine Unterweisungen am tiefsten verstanden.“ Alle Schüler waren verwirrt – er hat nichts gesagt, nichts bewiesen, nichts erklärt, und trotzdem soll er die Übertragung zum Nachfolger des Zen-Meisters bekommen?

Was ist Mitgefühl

Der Meister klärte sie auf: „Es ist nicht so wichtig wie viel Du gelernt und was du in dich aufgenommen hast. Wichtig allein ist, dass Du Mitgefühl zu allen fühlenden Wesen empfindest! Dieser Schüler war da, er interessierte sich nur für meine Krankheit, verband sich mit mir und empfand Mitgefühl mit mir und deshalb brachte er die Medizin. Als ich aber sagte, ich trinke sie jetzt nicht, hatte er genauso viel Mitgefühl, er war nicht verärgert, fühlte sich nicht entwertet und nahm die Schale mit der Medizin wieder an sich. Ohne Ärger, ohne Unmut. Und das ist das reine Mitgefühl! Der Nächste, der Zen-Meister werden soll, soll genau so viel Mitgefühl mit anderen Menschen haben und nicht nur das Wissen. Er ist der Richtige.“

Mitgefühl als Lebensaufgabe

Aus dieser Geschichte können wir viel lernen: Wie viel du kannst, wie viel du verstanden hast, wie intellektuell du bist, ist nicht so wichtig. Wenn wir aber kein Mitgefühl füreinander haben, dann verlieren wir die menschliche Qualität. Das ist die Lehre des Buddhas. Mitgefühl mit unseren Mitmenschen zu entwickeln ist in unserem Leben die Hauptaufgabe.